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DER MENSCH, DIE SILHOUETTE

Quelle: Augsburger Allgemeine Zeitung, 05.06.2019 

Von Stephanie Knauer Gersthofen

Mit der Ausstellung von Georg Bernhard konnten die Stadt und der Kulturkreis Gersthofen einen herausragenden Veranstaltungspunkt in das Festprogramm zum Stadtjubiläum integrieren. Denn der weithin renommierte Augsburger Künstler Professor Georg Bernhard, der vergangene Woche 90 Jahre wurde, hatte vor drei Jahrzehnten die Decke und den Altarraum der Gersthofer St. Jakobuskirche malerisch neugestaltet. Seitdem ist er den Gersthofern ein Begriff. Am vergangenen Freitag fand die Vernissage der Werkschau Georg Bernhards im Gersthofer Rathaus statt. Auf das Renaissancegenie da Vinci und seine Zeit nahm Laudator Dr. Stefan Schramml auch Bezug in seiner Ansprache, die auf die unterhaltsam informativen Grußworte von Günter Utz, Vorsitzender des Kulturkreises Gersthofen, und von Bürgermeister Michael Wörle folgte: So ähnlich wie in der Renaissance der entstehende Humanismus auf dem Fundament der Antike die Kunst veränderte, so seien auch auf diese Weise die Bilder von Georg Bernhard von antiken Mythen und Gestalten durchwandert. In der Darstellung antiker Sujets behandelt Bernhard Allgemeinmenschliches. Es ist die Versuchung, das Wanken, das als betörend singende Sirene den standhaften Odysseus in Schwingungen versetzt. Ikarus stürzt und steckt kopfüber in der Figur des Dädalus - die zwei Seelen in jedermanns Brust. Durch silhouettierte Mehrfigürlichkeit gerät die Statik des Genres Malerei bei Bernhard in Bewegung, illustriert Bezüge und Neigungen. Die Personen, anonym gezeichnet und trotzdem immer mit Charakter, handeln, bewegen sich, neigen sich einander zu, tanzen und taumeln, lieben, stürzen. Doch ebenso gibt es das archaisch Statische, die eherne Bedeutsamkeit etwa der Engel, der Sphinx mit dem Pharao, Primus inter Pares zur Seite, das Arkadische.

Dabei zitiert Georg Bernhard auch öfter sich selbst, greift Attribute oder andere Details von früher wieder auf: das Auge des Horus, den blühenden Zweig, die zarten und langen Finger, die das Haar in "Zuneigung" durchwühlen und in "Medusa" zum Schlangenkopf mutieren. 

36 Jahre umfasst die Ausstellung, die meisten der 35 Exponate stammen dabei aus dem neuen Millennium. Ist die Bildsprache etwa in der "Tanzenden" von 1987 noch farblich satt und von organisch weichen Formen à la Niki de Saint Phalle, wirken sie zunehmend vergeistigt filigran. Den Erdfarben und dem zeichnerischen Strich blieb Georg Bernhard aber durchgehend verbunden. Sie wirken farbig ohne Dominanz, treten zugunsten des Dargestellten zurück, zeichnerisch dezent. Dazu passt auch die alte Technik der Rohrfederzeichnung mit Tuschen, die sich zu der bisher verwendeten Mischtechnik gesellt. Die Serie "Totentanz", ausgehend von der mittelalterlichen Vorstellung vom allezeit zu fürchtenden Sensenmann, profitiert von der fragilen, durch Können gebändigten Natur der Rohrfeder und zeigt den Gevatter Tod auch als Freund, Befreier und Buhle, der den Eintritt ins Totenreich erleichtert. Dazu zählt ebenso das Bild "Die Stille, die Liebe, der Tod", die eine Unterschrift des Füssener Totentanzes in sich trägt: "Sagt Ja, sagt Nein, getanzt muss sein" - Liebe, Stille, Tod sind dreieinig. Mit Grund gilt der Klimax in der Liebe als kleiner Tod und wurde in der Renaissance auch mit der Metapher vom Sterben angedeutet. Ein solches Verweigern gegenüber dem kunstmarktbedingten Mainstream wie von Georg Bernhard würde man sich öfter wünschen, sagte Stefan Schrammel zum Schluss seiner Laudatio. Und ist doch dieses Verweigern beinahe zwingend logisch. Denn die Bilder Bernhards - wie ja auch Mythen und Märchen an sich - drücken über-epochale Themen und Weisheiten aus, die die Menschheit seit Anbeginn beschäftigen. Sie gehen uns alle an.

DER MIT DEN ENGELN TANZT

Quelle: Augsburger Allgemeine Zeitung, 06.09.2016 

Von Günter Ott Riederau/Augsburg

Was für ein Beginn! Man geht mit dem Künstler ins Atelier und unversehens fällt der Satz: "Ich zerstöre meine Bilder." Georg Bernhard sagt das ohne jede Emphase. Seit einem Jahr sortiert er aus, vor allem abstrakte Werke der 50er und 60er Jahre. Wie zum Beweis deutet er auf eine mit Grundierungsfarbe überpinselte Leinwand. Grau in Grau steht sie im Abseits. Und warum das alles? Die Antwort lässt keinen Platz für Sentimentalitäten: "Es sammelt sich zu viel Gruscht an." Wir stehen im Atelieranbau des Hauses in Riederau am Ammersee. Auf eineinhalbtausend Zeichnungen schätzt Bernhard den Bestand dort. Dazu kommen einige hundert Zeichnungen im (kleineren) Atelier der Augsburger Wohnung. Wohin mit alledem? Das muss einen jungen Mann nicht kümmern. Aber Bernhard ist 87! Er wisse ja nicht, wann er ins Gras beißen müsse . . . Auch das klingt eher beiläufig. Bernhard ist dabei, Bilder an Museen zu verschenken, ans H 2 und ans Dommuseum in Augsburg, an die Schwäbische Galerie Oberschönenfeld . . . Auch privat zeigt er sich generös. Hauptsache, seine Kunst-"Kinder" kommen gut unter. So wird Älteres und Jüngstes weggegeben. Doch Neues kommt hinzu. Denn Bernhard steht regelmäßig am Arbeitstisch, ihm gehen immer neue "Kinder" von der Hand. Es scheint, als könnte er es manchmal selbst nicht fassen, dass das Zeichnen "noch so viel Spaß" macht. Dabei meint "Spaß" nichts anderes als jenes Reservoir, das als künstlerischer Treibstoff nach Ausdruck verlangt. Schon hält Bernhard einem die am Ammersee geschnittene Rohrfeder hin, die mit dem Alter an Härte zulegt Mit ihr lässt er die Linien an- und abschwellen, kratzt hörbar ins grobe Bütten: "Das ist sinnlich!" Blatt für Blatt trägt er den Stapel seiner neuen (aquarellierten) Zeichnungen ab, weist auf die zuerst gesetzten Schraffuren, ihre Flächigkeit, die sogleich in Spannung gerät zu den Liniengespinsten der Figur, ihrer Doppelung und Verdreifachung. Allenthalben reißen Flügelformen die Körper aus der Senkrechten. Der Künstler bittet zum "Tanz der Engel", wie viele Titel lauten. Hier hat einer sein Thema gefunden: die menschliche Figur. Sie steht und liegt, sie fällt und fliegt. Für dieses Mysterium suchte der langjährige Professor an der Augsburger Fachhochschule seine Studenten zu begeistern. Dem Körper rückt er in Bister, Sepia und Schwarz zu Leibe, er hat ihn in Öl gefasst und als Freskant Kirchenmauern eingeschrieben. Das Was, die Figur, stand beizeiten fest.

Am Wie arbeitet Bernhard bis heute. Jede Künstlerbiografie hat ihre wegweisenden Daten. Es war 1952, als der gebürtige Augsburger als Stipendiat nach Rom kam. Dort gingen schon Scharen deutscher Künstler die Augen auf - wie sollte es dem 23-Jährigen anders ergehen? Anfangs stand er noch zeichnend auf dem Forum Romanum. Dann offenbarte sich ihm Stück für Stück die römische und griechische Kunst, tat sich das Kunstparadies der Renaissance auf, nicht zu reden von den gezeichneten Wundern eines Piero della Francesca, eines Signorelli, Botticelli und Michelangelo, im Weiteren von den altdeutschen und niederländischen Meistern, von jenem schier unerschöpflichen Fundus aus Mythologie und Bibel, von Venus und Gilgamesch, von Dante und dem alttestamentlichen Propheten Habakuk . Wer zählt all die Kirchen, deren Gestaltung und Ausstattung Bernhard in Regie genommen hat! Der Kirchenraum in St. Ludwig in Lindau-Aeschach (2001) und die Glasfenster für Kloster Maria Stern in Nördlingen (1984) sind ihm besonders ans Herz gewachsen. Fragt man ihn nach einer prägenden Persönlichkeit in Augsburg, fällt sofort der Name Monsignore Josef Kunstmann, "ein überragender intellektueller Mann", der das Publikum in Vorträgen über Ostern und über Kunst gleichermaßen gefesselt habe. Kunstmann war von 1966 bis 1975 Bischöflicher Referent für sakrale Kunst in der Diözese Augsburg. Bernhard verschaffte er 1952/53 mit der Ausmalung der Bischofskapelle den ersten großen Auftrag. Kunst, Kirche, Glaube: Beim Blick aus dem Riederauer Atelierfenster ins Grüne legt Bernhard ein überraschendes Bekenntnis ab. Nein, er wolle seine letzte Ruhe nicht unter einem Baum finden. "Ich wünsche mir ein christliches Begräbnis mit Sarg und Pfarrer!" Er schätze es, so Bernhard, dass es der Kirche noch um Herz und Seele gehe; dass sie der grassierenden "Hast du was, so bist du was"-Haltung entgegentrete. Als das Gotteshaus in Riederau restauriert wurde, hat sich der Künstler eine alte Holzsäule samt Querbalken gesichert. Sie sind längst tragender Teil des Ateliers und gewiss ein gutes Omen dazu. Dann zieht er eine Totentafel hervor. Auf ihr hat Bernhard persönliche Freunde und Vertraute aufgelistet, darunter den früheren Augsburger Bischof Josef Stimpfle. "Man wird einsamer." Zugleich ist Bernhard sehr bewusst, welch große Stütze er in seiner (zweiten) Frau Brigitte und ihrer gemeinsamen Tochter Daniela hat. Im Alter wächst der Raum der Erinnerung. Nicht zufällig hängen im Atelier zwei kleine Blumenstillleben der Mutter. Sie hat gern gezeichnet und gemalt und vor allem - in elender Zeit - dem zur Kunst strebenden Sohn keine Steine in den Weg gelegt. Das macht dankbar. Gern denkt der 87-Jährige auch an die Begegnung mit dem Maler Fritz Winter im nahen Dießen; an die einst jährlichen Künstlerbund-Ausstellungen in den großen deutschen Städten; an den Ankauf seines Gemäldes "Dreimal Figur" (1982) für die Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik. Doch rasch geht der Blick wieder nach vorne - auf den nächsten Tag, an dem sich Bernhard nach der obligatorischen Morgengymnastik mit unvermindertem Spaß der Zeichnung widmen wird (untermalt mit Musik von Strauss oder Mahler). Neue Ausstellungen stehen im Herbst bevor, in Augsburg und Lindau. Und so macht der Künstler sich und sein Publikum weiter glücklich mit dem, was er mit der ihm eigenen humorvollen Untertreibung "das Zeug" nennt.

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